Freitag, 9. Juli 2010

Anarchie


Der Text des Stücks

Härter, schneller, einfallsloser,
Crass und Sham und Subs,
Langeweile, Rumgemoser -
Ist doch alles abgefuckt!

Anarchie - Onanie...

Krach macht Spass - Wer will noch Musik?
Linie - Nicht gefragt!
Abgelenkt von Deinem Leben
Fühlst Du Dich so stark...

Anarchie - Onanie...

10, 12, 15, 18, 20,
Danach bist Du alt.
Keinen Bock mehr, was zu machen,
Nur noch hart und kalt...

Anarchie - Onanie...

Vorwärts geht's nicht,
Rückwärts geht's nicht,
Alles gab's schon mal!
Überall - wo Du auch hinkommst -
Ist die Langeweil schon da...

Anarchie - Onanie...

Abgeschlafft, abgeschlafft,
Jung und schon kaputtgemacht!
20 und schon rentenreif -
Anarchie und Führer live...

Anarchie, Anarchie -
ist die wahre Onanie...


beschreibt die zu seiner Entstehungszeit herrschenden Zustände, denen sich junge Menschen ausgesetzt sahen. Abgesehen von der wesentlich geringeren Arbeitslosenquote, die damals den Satz "Wer wirklich eine Arbeit sucht, der findet auch eine!" durchaus noch rechtfertigte, hat sich die generelle Situation nur marginal verändert. Früher musste man sich gegebenenfalls physikalisch vorhandene Gegner aussuchen, die im Verlauf der letzten Jahre weitgehend von virtuellen Pedants ersetzt wurden. Was heute per SMS, Blog oder anderen Spielereien übermittelt wird, wurde damals mündlich, per Telefon oder von Fanzines verbreitet. Während damals in Sachen Volksverdummung noch echte Pionierleistungen erbracht wurden, man denke an Werbung und einschlägige TV-Sendungen, sind die Verdummungsmechanismen inzwischen so ausgereift, dass seitens der Nutzer dieser Möglichkeiten kaum noch Wünsche offen bleiben. Nun, wir haben inzwischen auch etwas mehr als nur drei TV-Sender oder ein einziges Rundfunkprogramm in drei Geschmacksrichtungen.

Das ist natürlich nur der oberflächliche Teil der Betrachtung. Der Text geht wesentlich tiefer ins Detail und kritisiert offen Strömungen, die die damalige Punkbewegung zu unterwandern begannen, und sich heute, mehr oder weniger, etabliert haben. Da waren erst einmal Crass, die Musik gegen rhytmisch Lärm ersetzten, und sehr schnell sehr viele Fans und Nachahmer fanden. Damit war der Tod kreativer Musik im Bereich Punk vorerst besiegelt. Ein weiterer Sargnagel war der Text von "Anarchy in the UK", den die meisten Punks völlig missverstanden haben: Don't know what I want, but I know how to get it, I wanna destroy, pacify,... Wer das für eine Anarchistenhymne hält, dem ist nicht mehr zu helfen. Der ganze Text ist Verarschung auf allerhöchstem Niveau. Die Herren McLaren und Lydon müssen sich diebisch amüsiert haben, als sie sahen, wie das Stück misinterpretiert wurde...

Nichtsdestotrotz ermöglichte dieses Missverständnis es hierzulande diversen Alt-68'ern, die Punkbewegung zu unterwandern und mit ihrer Ideologie zu infiltrieren. Für uns waren diese - von uns irgendwann einmal unter dem Sammelbegriff "Hippies" zusammengefassten - Politisierer ein rotes Tuch, das immer wieder zu verbalen Attacken reizte. Schlägereien waren nie unser Ding, und es wäre uns nicht im Traum eingefallen, jemanden zu verprügeln, weil er andere Vorstellungen, zu lange oder zu kurze Haare, eine andere Sprache oder eine andere Hautfarbe hat. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen waren wir immer nach allen Seiten für Diskussionen offen, nicht nur für das Spektrum links der SPD. Wer von anderen Menschen etwas will, sollte mit ihnen kommunizieren, statt sie mit Gewalt zum "wahren Glauben" bekehren zu wollen - das funktioniert eh nicht und ist zudem eine moralisch fragwürdige Überzeugungsmethode, die nur noch von Gulags, KZs oder Guantanamo getoppt werden kann...

Anarchie aufYouTube

Bernhard Schornak (The Happy Gravedigger)

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